Eine geschlechtsspezifische Perspektive
Die Integration von Frauen in die verschiedenen Bereiche des Sports ist ein langwieriger Prozess, der auch nach 50 Jahren J+S noch nicht abgeschlossen ist. Er hängt sowohl mit der internen Strukturierung des Sports als auch mit einer mitunter widersprüchlichen gesellschaftspolitischen Dynamik zusammen. Manuela Maffongelli, Historikerin an der Universität Lausanne, erläutert die geschlechtsspezifischen Herausforderungen im Sport in der Schweiz.
In der Tat gibt es einen historischen Zusammenhang zwischen dem Zugang der Frauen zum Stimmrecht auf Bundesebene (1971) und der Gründung von Jugend+Sport (1972), da die Schweizer Gesellschaft in jener Zeit relativ offen für mehr Gleichberechtigung war. Die Gründung von J+S durch das Gesetz vom 17. März 1972 ermöglichte den Mädchen den Zugang zum Sport oder zumindest die uneingeschränkte Teilnahme daran. Sie durften sich zu Übungsleiterinnen ausbilden lassen und konnten durch ihre Tätigkeit in den Vereinen (in den von J+S vorgeschriebenen Altersgruppen) Zuschüsse erhalten. Es sei zudem darauf hingewiesen, dass mit dem Gesetz von 1972 – und erst in diesem Jahr – der Turn- und Sportunterricht für Mädchen während der Schulzeit als Pflichtunterricht eingeführt wurde. Obwohl Mädchen in den grossen Städten der Schweiz bereits seit mehreren Jahrzehnten Sportunterricht in der Schule hatten, wurde dieser erst 1972 gesetzlich und verbindlich vorgeschrieben.
Die 70er-Jahre waren sehr wichtig in Geschichte der Frauen in der Schweiz. 1971 erhielten die Frauen endlich das Stimm- und Wahlrecht.
Zu diesem Ergebnis führte eine Entwicklung, in der Frauen (und insbesondere junge Mädchen) schon ab den 1840er-Jahren in bestimmten Schulen unter der Ägide von Pionieren wie Clias in Bern oder Spiess in Basel Turnunterricht erhielten. Der Aufschwung des sogenannten modernen Sports zwischen 1880 und 1910 fand zunächst jedoch hauptsächlich ohne Frauen statt. Die ersten Initiativen im Bereich des Sports der 1910er und 1920er-Jahre wurden – wie in anderen europäischen Ländern – schliesslich durch die Stärkung der konservativen politischen Strömungen in den 1930er und 1940er-Jahren zunichte gemacht. Schliesslich konnten Frauen, die sich bislang auf bestimmte Sportarten wie Gymnastik oder Tanz beschränken mussten, auch andere Sportarten wie Skifahren ausüben. Dies war allerdings nur einer sehr kleinen, sportlich aktiven gesellschaftlichen Elite vorbehalten. Erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts verfestigten sich die Trends zur Feminisierung des Sports.
Die 70er-Jahre sind ein Meilenstein in der Geschichte der Frauen. Sie konnten in der Gesellschaft stärker präsent sein, und sowohl Freizeit- als auch Wettkampfsport ausüben.
Auch wenn J+S den Frauen neue Horizonte eröffnete, indem die Schranken eines bisher fast ausschliesslich auf die militärische Ausbildung ausgerichteten Systems beseitigt wurden, war die Welt des Sports weiterhin von zahlreichen geschlechtsspezifischen Ungleichheiten geprägt. Beispielsweise wurde der Frauensport in den Medienberichterstattungen benachteiligt. Ausserdem war die Zahl der Frauen unter den Verbandsmitgliedern sehr gering (ganz zu schweigen von deren Vertretung in den höheren Positionen dieser Organisationen) und auch die gesellschaftliche Vorstellung der von Mädchen und Frauen ausgeübten Tätigkeiten war geschlechtsspezifisch. In vielen Sportarten stellen Frauen immer noch weniger als ein Viertel der Trainer und Trainerinnen mit Lizenz (oft sogar weit weniger als ein Viertel) und nur in Ausnahmefällen werden Verbände von Präsidentinnen (oder Direktorinnen) geleitet. Der Sport ist nach wie vor eine «Männerdomäne», wie der Soziologe Norbert Elias sagte, aber die Leistungen der Schweizerinnen bei den Olympischen Spielen in Tokio zeigen, dass eine Dynamik am Werk ist und die Hochburg der Männer nicht mehr uneinnehmbar ist.
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